URA fragt nach – Tino der moderne Tagelöhner

Im vierten Teil unserer Reihe haben wir mit Tino gesprochen, der sich seit seinem Kunststudium als Selbstständiger mit unterschiedlichsten Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Seine ohnehin schon prekäre Lage hat sich seit Corona zugespitzt. Ob im Kunstgewerbe das als Teil der Kulturbranche brach liegt, oder im Bau- und Montagegewerbe in dem die Jobs knapp werden und AHA-Regeln nichts mit der Realität zu tun haben.
Für Tino bleibt die Hoffnung, dass die Ursachen gesellschaftlicher Probleme durch Corona für viele Menschen sichtbarer wurden und das diese jetzt angegangen werden.

Wie sieht deine allgemeine beruflichen Situation aus?

Also meine berufliche Situation ist allgemein sehr schwierig zu beschreiben. Eigentlich habe ich Kunst studiert, davon können allerdings nur die Allerwenigsten leben. Ich gehöre schon mal nicht dazu. Deswegen habe ich schon immer in allen möglichen Bereichen gearbeitet die mir genug Zeit ließen, auch weiterhin kreativ zu sein.
Das heißt auf Baustellen, in Messen, in Theatern, als Türsteher oder im Pflegebereich…ich hab da schon Einiges durch, wobei ich meinen Hauptverdienst im Baubereich einhole. Also eigentlich würde ich mich als modernen Tagelöhner bezeichnen.

Klingt ja sehr abwechslungsreich, aber auch nicht gerade nach stabilen Einkommensverhältnissen?

Ja das stimmt wohl. Prekär sind die Jobs immer als Freiberufler und Kleinunternehmer. Wenn es gut läuft, hast du schnell mal ein paar Tausender auf dem Konto und dann monatelang wieder nichts. Dazu kommen nicht unerhebliche Krankenkassenabgaben, die natürlich nicht so flexibel wie mein Einkommen sind und gerade in Zeiten ohne Arbeit wirklich zur Belastung werden.
Wirkliche Planungssicherheit kann ich da eigentlich nie haben. Bauaufträge können komplett weg fallen, Projekte und Ausstellungen gestrichen werden und zu guter Letzt trage ich auch selber das Risiko krank zu werden und damit kein Einkommen mehr zu haben.
Ich gehöre zu den 13,2% in Deutschland, die offiziell als arm gelten und damit kann man sich ja auch vorstellen, dass ich keine Rücklagen habe, um Krisenzeiten lange durchzustehen.

Und wie hat sich für dich die Situation seit Corona verändert?

Naja auf der künstlerischen Seite natürlich ein voller Reinfall. Werke die in Ausstellungen stehen, kann keine:r sehen und damit natürlich auch nicht kaufen. Ausstellungen an denen ich gearbeitet habe, stehen seit über einem Jahr in der Pipeline ohne irgendeine konkrete Aussicht, wann diese stattfinden können. Also in dem Bereich ist es mir eigentlich gerade völlig unmöglich Geld zu verdienen.
Auf dem Bau sieht es da leider nicht viel besser aus. Also an sich laufen die meisten Baustellen ja weiter. Andererseits hat sich die Konkurrenz, einen Job zu bekommen, massiv erhöht. Menschen die ähnlich wie ich ihr Geld verdienen, haben ihr Einkommen oft im Messebau, Ladenbau oder rund um große Veranstaltungen gehabt. Da alle diese Bereiche keine Arbeiter:innen mehr brauchen, erhöht sich die Nachfrage nach Baujobs immens. Das bedeutet nicht nur dass es schwieriger ist überhaupt einen Job zu bekommen, sondern auch das Löhne gedrückt werden und die Bedingungen an sich schlechter werden. Hinzukommt, dass es auf dem Bau auch kaum Hygienekonzepte gibt oder diese einfach nicht in der Praxis umsetzbar sind. Was soll man auch von den Kolleg:innen erwarten die am Tag 10 Stunden in der Kälte rackern? Sollen die ihr Mittagsbrot auch in der Kälte essen? Nein, da sitzt man halt die Pause im Baucontainer und mit Maske essen wird da auch nix.
Auch in den Unterkünften für Leute auf Montage ist das ein großes Problem. Meist sind das Mehrbettzimmer, wenn überhaupt Gemeinschaftsküchen, und damit gar keine Chance, Abstände oder irgendwas einzuhalten. Damit steigt natürlich die Chance sich anzustecken enorm und wenn ich dann daran denke, dass ich keine Arbeitsausfälle bezahlt bekomme, überlege ich natürlich dreimal, ob ich mir das antue oder lieber schlecht bezahlte Jobs in meiner Region annehme, bei denen ich wenigstens zu Hause schlafen kann und damit das Risiko, mich und andere zu gefährden, minimieren kann.
Für viele der Leute die vor allem aus dem osteuropäischen Ausland und dem Balkan kommen, stellt sich diese Frage natürlich gar nicht erst. Da heißt es Augen zu und durch, weil sie noch mehr auf das Geld angewiesen sind als ich, der immerhin keine Familie durchfüttern muss.

Was würdest du gern ändern und was wünschst du dir für die Zukunft?

Puhhh…. das ist natürlich eine schwierige Frage und ich weiß gar nicht genau, wo ich da ansetzen soll.
Also ich denke kurzfristig ist es wichtig, dass die Behörden genau hingucken, wer von den Corona Maßnahmen unterstützt wird. Wenn ich in der Zeitung lese, wie große Unternehmen massive Subventionen erhalten obwohl sie trotzdem Arbeiter:innen entlassen und sich fette Dividenden auszahlen, krieg ich Wut. Ich habe bisher nichts von den Maßnahmen bekommen, da mein Hauptgewerbe der Bau ja an sich ja weiterläuft. Das die Zustände sich darin aber so verändert haben, wird überhaupt nicht berücksichtigt. Viele meiner Kolleg:innen die Hilfen bekommen haben, vertrauen dem Braten auch nicht. Da die ersten Hilfen nur dazu gedacht waren Betriebsausgaben zu decken und nicht seine Miete oder Essen damit zu bezahlen. Was haben Tagelöhner:innen wie wir aber denn für betriebliche Ausgaben? Nichts! Da begibt man sich halt schnell auf dünnes Eis und den Stress dafür eine Anzeige zu bekommen und alles wieder zurück zu zahlen, hat auch Viele abgeschreckt.
Deswegen wünsche ich mir, dass die, die auch schon vor der Pandemie viel hatten, auch die finanziellen Folgen tragen sollten. Immerhin sind wir es, die ihre Profite überhaupt erst erarbeitet haben. Amazon verdient sich dumm und dämlich und bezahlt dafür kaum Steuern. So ist es ja bei vielen dieser großen Unternehmen und den Reichen die daran verdienen.
Also fair enough wenn Kurzarbeitergeld von denen bezahlt werden würde und nicht von unseren Steuern, während dann die Haushaltsgelder bei wichtigen sozialen Sachen eingespart werden.

Leider sehe ich aber das Corona die schlechten Bedingungen die vorher schon existiert haben, zwar teilweise aufdeckt, aber das nicht dazu führt, dass sich da wirklich was verändert. Deswegen ist meine Hoffnung dass mehr und mehr Leute merken, dass unsere Wirtschaftsweise an sich das Problem ist. Leider beschleunigt das Virus viele schlechte Entwicklungen eher noch, als Diese auszubessern. Die Märkte werden weiter monopolisiert, da kleine Unternehmen die Krise wohl nicht überleben werden; Bildungsungleichheit wird sich auch weiter verschärfen durch den ungleichen Zugang zur Online-Bildung und Klima haben ja alle wieder vergessen, dass wir da mal ein Problem mit hatten…
Also wie gesagt, ich hoffe das Corona vielleicht doch dem Ein oder Anderen zeigt, dass es nicht mehr darum geht hier die Symptome in der Gesellschaft zu bekämpfen sondern genau das was uns krank macht an sich.
Die größten Herausforderungen sind nun mal die soziale Ungerechtigkeit, vor allem in der Vermögensverteilung und der Klimawandel. Corona hin oder her sind das die Probleme, die uns wirklich langfristig bedrohen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt und eigentlich denke ich mir, kann es doch gar nicht so schwer sein, eine Alternative zu diesem ständigen Wachstumswahn auf Kosten von Mensch und Natur zu finden. Aber die sollten wir, denke Ich, alle zusammen suchen.

Deswegen wünsche ich mir mehr Demokratie, auch und vor allem was unsere Wirtschaft angeht. Was, wie, Wer unter welchen Bedingungen herstellt und wer davon profitiert, das sollten wir doch immer noch selber entscheiden.
Dann wünsche ich mir eine Existenzsicherung, die diesen Namen auch verdient und nicht voller Hürden und Bürokratie ist.
An sich wünsche ich mir, dass die Menschen wieder mehr aufeinander zugehen. Dieses Individualistenleben ist doch wirklich was Schlimmes und zumindest das sollte uns Corona gezeigt haben.

So… könnt ihr das jetzt umsetzen?


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