Brecht das Schweigen!

Getroffen hat es zwei, gemeint sind wir alle

Ob der Mord an Walther Lübke, die Attentate von Hanau und Halle oder rechte Netzwerke in Bundeswehr und Polizei. Die Bedrohung durch rechten Terror und Gewalttaten ist nicht nur in Deutschland weiterhin auf einem extrem hohen Niveau.
Doch Connewitz habt ihr mitbekommen? Schlimm. Die westliche Wertegemeinschaft ist in Gefahr und muss jetzt an der Wolfgang-Heinze-Straße in Leipzig verteidigt werden. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten wir die Hoffnung, dass hierzulande die Gefahr von rechts endlich ernst genommen werden wird. Doch schwuppdiwupp wird die Extremismustheorie zur Hand genommen und die Hufeisen fliegen wieder tief. Das “rote Gespenst” wird an die Wand gemalt, um von Problemen von mordlüsternen (Neo-)Nazis abzulenken. Diese werden nicht nur in ihren eigenen Strukturen, sondern auch in Behörden und dem Staatsapparat selbst immer stärker – oder zumindest offensichtlicher.

Habt ihr aber auch folgendes mitbekommen? Am 29.08.2020 hat der 16-jährige Neonazi Florian Rosenkranz in Dresden auf zwei Menschen eingestochen und sie lebensgefährlich verletzt. Einem Opfer konnte nur mittels einer Notoperation das Leben gerettet werden. Die Person wird ihr Leben lang Folgeschäden tragen müssen. Die Tat geschah auf einem FreeTekk, einer unkommerziellen Techno Party, in der Dresdner Heide. Diese Tat tauchte allerdings nicht wirklich in der Medienlandschaft auf, schlicht weil sie weder thematisiert noch skandalisiert wurde.
Einmal mehr zeigt sich, dass es eine essentielle Aufgabe für emanzipatorische politische Strukturen und die Zivilgesellschaft ist, genau hinzusehen, was in unserer Gesellschaft passiert und die nötige Berichterstattung selbst in die Hand zu nehmen.

Was ist passiert?

Auf besagtem FreeTekk am 29.08. beleidigte der Neonazi Florian Rosenkranz einen Partygast rassistisch. Daraufhin zur Rede gestellt, äußerte er sich weiterhin rassistisch und zeigte den Hitlergruß. Infolge der Ansage, dass man solche Arschlöcher nicht dulde und er zu gehen habe, zog er ein Messer mit einer 18 cm langen Klinge und stach zwei junge Menschen von hinten nieder. Eine betroffene Person konnte nur durch die prompte Hilfe fitter Leute vor Ort bei Bewusstsein gehalten werden, bis ein Rettungswagen eintraf. Dem Zufall, der Finsternis und den Gegebenheiten vor Ort ist zu verdanken, dass der Täter auf der Flucht zu Fall kam und aufgespürt werden konnte. Beide Betroffenen sind aus dem künstlichen Koma erwacht, Lebensgefahr besteht nicht mehr. Wobei man sagen muss, dass eine* der beiden einfach verdammtes Glück hatte, dass Ersthelfer*innen und Rettungskräfte schnell handelten.

Täglich sind Menschen durch rechte Gewalt bedroht

Auch wenn dieser Vorfall in seiner Qualität vermeintlich heraussticht, so sind rechter Hass und rechte Gewalt Alltag (in Sachsen, Deutschland, weltweit). Die Chronik rechter Über- und Angriffe der Opferberatung Sachsen[1] wächst quasi täglich. Böse Blicke und abwertende Gesten werden selten statistisch erfasst, doch hinterlassen sie meist tiefe Narben bei den Betroffenen. Die Mehrheitsgesellschaft bekommt dies nicht mit – oder ab. Vielleicht will sie es nicht mitbekommen. Doch Beleidigungen und körperliche Gewalt sind für viele keine Seltenheit, enden für „Unerwünschte“ gar tödlich. Im März 2020 wurde einem Mensch aus rassistischen Gründen in Dresden fast die Halsschlagader durchtrennt. Er hat überlebt.
Doch die Liste der Todesopfer rechter Gewalt seit der Wende ist lang.
Jorge Gomondai, Waltraud Scheffler, Marwa El-Sherbini, Bernd Schmidt, Patrick Thürmer, Christopher W. und 13 weitere Namen sind bekannt [2]. Rechte Gewalt ist eliminatorisch. Als „unwertes“ Leben abgewertet, haben die Betroffenen, einer menschenverachtenden Logik zufolge nicht das Recht, zu existieren. (Vermeintlich) Nichtdeutsche, Frauen*, Obdachlose, Schwule, politische Gegner*innen – und viele mehr. Hasserfüllten Worten folgen Taten. Der aktuelle öffentliche Diskurs verschiebt sich immer weiter nach rechts und animiert die schweigende Mehrheit zu vor Hass geifernden verbalen Ausfällen. So wird die Hemmschwelle herabgesetzt, was einer Legitimation physischer Angriffe in die Hände spielt. Mittlerweile geschehen die Gewalttaten recht selten durch genuine (Neo-)Nazis und immer öfter durch bis dato politisch Unauffällige aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft. Doch dies ist nicht allein das Verdienst der so leicht, wenn auch zu Recht, verteufelten AfD. Die bürgerliche Mitte mit ihrer selbsternannten Speerspitze, der CDU, greift mit an. Tötet mit. Die politische Agenda der Abschottung der europäischen Außengrenzen fordert nicht nur Opfer im Mittelmeer und in den Elendslagern Europas, sondern schürt und legitimiert auch Hass und Hetze hier vor Ort – gegenüber allen als fremd dargestellten.

Das Schweigen im Blätterwald und der deutsche Normalvollzug

Noch einmal: Vor weniger als zwei Wochen wurden zwei Linke von einem jugendlichen Fascho fast tödlich verletzt, doch der berechtigte Aufschrei blieb aus. Verwundert? In der hiesigen Medienlandschaft war dieser Vorfall wenig präsent. Die meisten Artikel waren unserer Meinung nicht angemessen genug und oftmals eher eine Randnotiz mit dem Attribut „illegale Technoparty“.[3] Bei aller angebrachter, aber immer sachlicher, Medienkritik: Wie soll die Presse ausgewogen und umfassend berichten, wenn sowohl die Cops, denen man sowieso nicht trauen kann und darf, als auch die Staatsanwaltschaft Kacke husten? Da geht ein bekennender Rechter, der seine Existenz, aufgrund seines Entbindungsortes und seiner Haut“farbe“ über die eines anderen gestellt und rumgehitlert hat, bewusst mit einem Messer auf politische Gegner*innen los und nimmt deren Tod in Kauf. Die Staatsanwaltschaft leugnet ein politisches Motiv[4] und die Cops sprechen aktuell von „gefährlicher Körperverletzung“.[5] Wie könnte eine Tat eindeutiger sein und wieso stellen die lokalen Journalist*innen keine kritischen Nachfragen? Hier räumen wir der Ansage Platz ein, dass die Cops, vor allem auf ihren Kanälen im Netz, keine unabhängige und seriöse Quelle sind. Werte Journalist*innen: Never trust a cop, not on twitter or anywhere else!

Wir sind hierzulande an einem Punkt, an dem scheinbar alles hingenommen werden kann, solange es nicht die Machtverhältnisse, Besitz und Eigentum tangiert. Wenn Menschen mit progressiven Ideen, denen keine*r zuhören will, ein wenig die Grenzen der Legalität ankratzen, um sich Gehör zu verschaffen, dann stehen Demokratie und der gesellschaftliche Frieden auf dem Spiel. Geben sich aber Rechte, Menschenfeinde, ihrem Weltbild hin und handeln nach diesem, dann wird bagatellisiert, relativiert, ge-Hufeist und sonst was. Ein weiteres Zeichen des Rechtsrucks hier in diesem Land , nur mit mehr Lippenbekenntnissen zum Wohle des Standortes und der eigenen, sich selbst moralisch überhöhenden Identität: einer konservativen, anti-emanzipatorischen Ideologie – welche den Faschos viel näher ist, als man sich eingestehen mag und einer kleingeistigen, bigotten und bürgerlichen Doppelmoral, welche lediglich die Wahrung des Ist-Zustandes und der eigenen Privilegien zum Ziel hat.

Und jetzt?

Alles wie immer, doch gefühlt auch immer schlimmer. Wir können und dürfen uns nicht auf den Staat und seine Organe verlassen und müssen kritisch beobachten, wie Medien über aktuelle Geschehnisse berichten. Ein Blick in die USA reicht, um zu sehen, wie eine rechte Politik im Zusammenspiel mit Medien und Social Media eine Gesellschaft vergiften kann.
Leider gibt es dagegen kein einfaches Geheimrezept.
Wir müssen uns organisieren, gemeinsame Unterstützungs-Strukturen und unabhängige Informationskanäle aufbauen und verbreiten, den Diskurs in unseren Nachbarschaften und Familien suchen, um Vertuschung, Fake News und das Bagatelisieren rechter Gewalt und Bedrohung nicht noch schlimmer werden zu lassen.

So notwendig wie es ist und leider bleiben wird, gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und alle weiteren diskriminierenden gesellschaftlichen Erscheinungen aufzustehen und klare Kante zu zeigen, so bewusst sollten wir uns dessen sein, dass uns rechte Gewalt wirklich alle treffen kann – und überall.
Darum: Gemeinsam, kämpferisch und kritisch gegen Menschenfeinde, ihre Helfer*innen und diejenigen, die schweigend zu- und wegschauen!

[1] https://www.raa-sachsen.de/
[2] https://ura-dresden.org/19zuviel/

[3] Ursrünglich lautete der Satz: “In der hiesigen Medienlandschaft war von diesem Vorfall ja auch nichts zu hören oder zu lesen.” Das stimmt natürlich nicht. Die Presse hat berichtet, wenn auch nicht angemessen.
[4] https://www.addn.me/nazis/staatsanwaltschaft-leugnet-politisches-motiv-nach-messerangriff/
[5] https://www.raa-sachsen.de/support/chronik/vorfaelle/massiver-rechter-uebergriff-bei-techno-party-4864

Profilbild und Freundesliste des Täters auf Facebook:

You may also like...

2 Responses

  1. Lutz says:

    Wurde der Junge denn wenigstens in U-Haft genommen oder läuft das so wie immer in Sachsen?

    Im übrigen, ist dem Typ klar das sein Nachnahme Jüdisch ist? Er also für seine Gesinnungskameratten eigentlich ein Feind ist?