URA fragt nach – Tobi über die dauerhaft unsichere finanzielle Situation von Beratungstellen für Geflüchtete
Dass die meisten Probleme, welche während der Pandemie offen oder offener zu Tage getreten sind, ihren Ursprung in unserer allgemeinen gesellschaftlichen Verfasstheit haben und damit auch schon vor Corona akute Probleme waren, haben wir bereits in den vorherigen Teilen unserer Reihe URA fragt nach gesehen. Menschen welche unsere Solidarität im besonderen Maße benötigen stehen, was die Mittelvergabe und Hilfestellungen angeht, meist hinten an. Tobi berichtet uns im fünften Teil der Reihe von seiner Arbeit in einer Beratungstelle für Geflüchtete vor und während der Pandemie, welche nun vor dem Aus steht, da zwischen Bedarf und Fördervolumen eine gewaltige Lücke klafft.
Bitte stell dich kurz vor, wer du bist und wo du arbeitest/aktiv bist.
Ich heiße Tobi und bin im AZ Conni aktiv. In den letzten fast vier Jahren habe ich mit meinen Kolleg*innen hauptamtlich im Projekt “Kontaktcafé” gearbeitet. Das ist bzw. war eine Beratungs-, Koordinations- und Netzwerkstelle für Geflüchtete, die sich in den letzten Jahren sehr auf die Wohnungssuche (und auf alles, was das Thema Wohnraum für Geflüchtete betrifft) fokussiert hat.
Wie lief es vor Corona und was hat sich wie verändert?
Es gab von 2015/2016 an, also dem Beginn der Projektarbeit, viel Zuspruch und bis zum Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 ebbte dieser eigentlich nie ab. Es gab höchstens eine Verschiebung der Themen. Zu Beginn waren es oft noch die Asylverfahren selbst, das Finden von Deutschkursen und ein erstes „Ankommen“ in Dresden, das die Menschen beschäftigt hat. In den letzten Jahren suchten uns fast ausschließlich Menschen auf, deren Asylverfahren positiv entschieden wurde und die daraufhin die erste eigene Wohnung beziehen wollten oder eben Fragen/Probleme/Wünsche infolge des Umzuges hatten.
Wir waren mehrmals so ausgelastet mit Aufgaben und Unterstützungsanfragen, dass wir immer mal wieder festlegen mussten, für mehrere Monate keine neuen Klient:innen mehr betreuen zu können bzw. unsere Netzwerk-Partner:innen gebeten haben, bitte nur noch wirklich dringende Gesuche an uns zu vermitteln.
Mit Ausbruch der Covid19-Pandemie haben uns natürlich kaum noch Menschen im AZ Conni aufgesucht, das war auch zu erwarten. Wir haben uns in der Vergangenheit bemüht, so niedrigschwellig wie möglich erreichbar zu sein. Die Menschen brauchten keine Termine, wir haben uns um Dolmetscher:innen bemüht, ein sehr unkompliziertes Ankommen war möglich. Mit dem ersten sogenannten “Lockdown” versuchten wir, zumindest unsere damals aktuellen Klient:innen weiter zu betreuen, was auch recht gut funktioniert hat. Neue Leute erreichten uns nun auf den digitalen Kanälen (Mail, Telefon, Messenger) allerdings kaum noch. Das änderte sich wiederum im Sommer 2020, als wir wieder Menschen auf dem Hof empfangen konnten und es wieder merklich voller wurde.
Die Arbeit selbst bzw. die Wohnungssuche hat übrigens auch im Pandemiejahr recht gut funktioniert. Aber klar, Konzerne wie Vonovia haben ja auch ein Interesse daran, die Wohnungen zu vermieten und waren (und sind) dadurch auch immer kreativ und motiviert, Besichtigungen z.B. auch pandemiekonform durchzuführen.
Zum Ende des Jahres mussten wir – wie schon mehrmals in den Jahren zuvor, wenn die weitere Förderung unklar war – wieder einen Cut machen und konnten keine weiteren Klient:innen aufnehmen und lediglich bei kleineren Dingen helfen oder eben weitervermitteln. Das war natürlich sehr ärgerlich aber ohne eine sichere Perspektive macht es z.B. wenig Sinn, im Nov./Dez. noch Menschen konkreten Support zuzusagen, wenn alle Angestellten für mehrere Personen/Familien nach Wohnungen suchen und völlig unklar ist, inwiefern es das Projekt im Januar noch gibt. Hinzu kam dann, wie ihr wisst, der nächste “Lockdown”.
Gibt es staatliche Maßnahmen/Hilfen und wenn ja, wie greifen diese in deinem Sektor?
Staatliche Maßnahmen im Bereich der “Integrativen Maßnahmen” (das ist das Landesprogramm, über das wir unsere Förderung bezogen) gab es kaum. Zwar konnten wir uns als Angestellten eine einmalige Corona-Sonderzahlung auszahlen, allerdings ging dies auch nur, weil wir das Geld noch in den Personalkosten “übrig” hatten. Mit guten Argumentationen konnten wir außerdem die Kosten für selbstgenähte Masken oder Desinfektionsmittel usw. abrechnen, aber von einer staatlichen Hilfe in unserem Bereich würde ich da nicht sprechen. Was allerdings positiv hervorzuheben ist, ist die Herangehensweise des Sozialministeriums (zuständig für unsere Förderung) im Umgang mit dem Beratungsalltag in der Pandemie. Wir hatten hier viele Freiräume und konnten stets selbst entscheiden, inwiefern wir z.B. im Lockdown Menschen live beraten oder eben nur digital erreichbar sind etc.
Wenn nicht, erfahrt ihr negative Konsequenzen? – Euch wurde in Pandemiezeiten das Geld für die Arbeit mit Geflüchteten gestrichen. Wie ordnest du das ein in Zeiten, in denen Solidarität gefordert ist? Gerade in Bezug auf Menschen in prekären Situationen.
Wir waren zunächst natürlich alle wütend, schockiert und verzweifelt. Die Befürchtungen, irgendwann keine Förderung mehr zu bekommen, hatten uns schon zuvor begleitet. Allerdings hatten wir von 2018 bis 2020 eine recht stabile Situation, was das anging. Die Absage kam dann kurz vor Weihnachten. Da zu erfahren, dass dein Job in zwei Wochen nicht mehr existiert, ist schon eine große Scheiße.
Ich persönlich würde mich allerdings weigern, diese Absage der Förderung auf die politische Ausrichtung unseres Vereins oder des Projektes (bzw. seiner Angestellten) zu schieben. Für den Bereich “Integrative Maßnahmen” wurden für 2021 insgesamt 172 Anträge über ca. 57 Millionen Euro gestellt, es stehen im Haushalt für diesen Bereich allerdings nur ca. 11 Millionen Euro zur Verfügung. Das sagt ja eigentlich alles aus. So wie uns erging es demnach über 100 anderen Projekten mit den verschiedensten Schwerpunkten und Zielgruppen.
Ärgerlich finde ich demnach gar nicht, dass unser Projektantrag hier nicht unter den besten 20-25% war, sondern dass das Haushaltsbudget für so einen immens wichtigen Bereich seit Jahren stagniert und für ein ganzes Bundesland läppische 11 Millionen ausreichen sollen. Das ist eigentlich eine riesengroße Farce, weil nahezu alle diese Projekte ihre Berechtigung haben und teilweise seit vielen Jahren tolle Arbeit gemacht haben. Neben uns wurden ja bekanntlich auch das NDK in Wurzen oder BonCourage aus Borna “abgelehnt”.
Wie blickst du mit deinem Job/Projekt in die Zukunft, was muss sich deiner Meinung ändern?
Wie gesagt, diese Richtlinie “Integrative Maßnahmen” muss endlich den realen Bedürfnissen der Vereine, Träger und letztlich den Menschen, für die sie erschaffen wurde, angepasst werden. Dazu muss ein klares Bekenntnis für diese sogenannten “Integrationsprojekte” her, das dann eben auch mit einer viel höheren finanziellen Ausstattung einhergehen muss.
Außerdem braucht es zwingend mehr Transparenz in der Vergabe der Mittel. Es kann nicht sein, dass wir z.B. bis heute keine konkreten inhaltlichen Gründe kennen, weswegen wir nicht mehr “zur Förderung vorgesehen” sind. Bisher haben wir lediglich die mehr als schwammige Begründung in der Hand, dass eben die insgesamt beantragten Fördermittel das Haushaltsvolumen weit übertreffen und nicht alle Projekte gefördert werden können. Aber wer entscheidet nun eigentlich konkret anhand welcher Kriterien, ob ein Antrag ausreicht oder abgelehnt wird? Gerade in Bezug auf eventuell folgende Anträge des Conni e.V. in den nächsten Jahren, müssen hier Antworten her!
Auf unsere konkreten Projektschwerpunkte bezogen ist es natürlich unendlich wichtig, dass die rassistischen Strukturen gerade in der Wohnungssuche noch mehr thematisiert und angegriffen gehören!
Aktuell sind wir im AZ Conni übrigens motiviert, auch zukünftig ein ähnliches Projekt an den Start zu bringen. Ob uns das gelingt, wird sich zeigen.
Gibt es Möglichkeiten/ Ansatzpunkte von Organisierung, eines gemeinsamen Vorgehens, und wie wäre dies zu realisieren?
Eine erste Organisierung der abgelehnten Projekte gibt es bereits und zwar auf Landes-, wie auch auf Dresdner Ebene. Dort geht es darum, die Forderungen nach mehr Budget und mehr Transparenz im Vergabeprozess zu erhöhen und eben aufzuzeigen, wie immens wichtig die Arbeit gerade auch in den Landkreisen ist.
Für die nun am meisten vom Wegfall zum Beispiel unseres Kontaktcafés Betroffenen – nämlich die Menschen, die nun bei der Wohnungssuche in Dresden kaum ein sinnvolles Beratungsangebot haben – braucht es meiner Meinung nach auch (wieder) ehrenamtliche Angebote. Nach 2015 lief das eigentlich in Dresden ziemlich gut, es gab verschiedene “Willkommensbündnisse” und Menschen, die ehrenamtlich bei Problemen mit Behörden, Vermieter:innen usw. geholfen haben. Diese sind bis auf ganz wenige Ausnahmen weggebrochen. Hauptamtliche Beratungen für Geflüchtete (wie bei der Caritas, Diakonie usw.) wirken von Dingen wie der Wohnungssuche eher genervt, weil es eben langfristige Aufgaben sind. Andere Projekte (wie z.B. der Ausländerrat oder der Sächsische Flüchtlingsrat) haben ihre Kompetenzen eher in der Begleitung beim Asylverfahren oder ähnlichen juristischen Fragen und sind ohnehin ziemlich ausgelastet.
Zu uns kamen außerdem viele Menschen mit „kleinen“ Anliegen, wie z.B. der Frage nach der GEZ-Befreiung, Problemen mit Nebenkostenabrechnungen oder einfach nur der Frage, wie sie in Dresden an ein WG-Zimmer kommen können. Das Sozialamt (als primär für den Wohnraum von geflüchteten Menschen zuständige Behörde) ist für diese Fragen nicht ansprechbar und hat im Gegenteil sogar in einigen Fällen Menschen zu uns geschickt.
Eine mögliche Lösung des Problems sehe ich hier auch in der Schaffung solidarischer Netzwerke in unseren Kiezen. Wenn z.B. ein WG-Zimmer oder gar eine ganze Wohnung frei wird, macht es durchaus Sinn, die Infos nicht nur in der eigenen Bubble zu verbreiten, sondern vielleicht auch mal in den gängigen Facebook-Gruppen, wo Refugees in Dresden nach Wohnungen suchen.