Messerangriff in der Heide – Staatsanwaltschaft verschweigt noch immer politischen Hintergrund.

Der Attentäter von Halle wurde verurteilt. Wichtiger: Öffentlich wird von “Lehren” gesprochen und “Kein Schlussstrich” gefordert. Es wird gefordert, dass menschenverachtende Einstellungen wie Antisemitismus, Rassismus und Sexismus endlich vehement und nachhaltig bekämpft werden müssen! Das ist gut und wichtig, aber auch verdammt spät. Zu spät, für all die Opfer in Halle wie auch die Opfer antisemitischer Anschläge der vergangenen Jahrzehnte. [1]

Es müssen Lehren gezogen werden? Wo sind diese?

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat im Fall der Messerattacke in der Dresdener Heide Ende August 2020 nun doch wegen “versuchten Mordes in zwei Fällen” Anklage erhoben. Man könnte jetzt sagen: “Geht doch.” Aber Pustekuchen! Denn, die Staatsanwaltschaft schreibt weiter: “Im Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte die Tat aus Frust über die eigene, als unbefriedigend empfundene Lebenssituation begangen hat.” Doch was heißt das?

Das heißt, dass die Staatsanwaltschaft immer noch keinen politischen Hintergrund sieht oder sehen will. Der offene Rassismus und der Hass auf Nichtrechte [2] werden nicht als niedere Beweggründe ins Feld geführt, sondern lediglich die Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation.
Das rechte Weltbild des Täters und seine einschlägigen Aktenvermerke sind zwar bekannt, es wird aber weiter vehement das Narrativ gepflegt, dass Faschos lediglich an einer schlechten Kindheit, wahlweise auch schlechten Lebensumständen und/oder mangelnder Bildung leiden. Nazistische Taten werden behandelt wie “normale” Delikte. Juristische Kniffe und zu erwartende Repression interessieren uns hier nicht. Uns geht es um die politische Einordnung der Tat. Es handelt sich hierbei um eindeutig rechte Tötungsversuche.

Doch es wird wieder entschuldigt und bagatellisiert. Dies ist das Narrativ, dass sich seit den 90’ern, den Jahren der akzeptierenden Jugendarbeit und des “NSU” durch zieht. Als die Täter mit uns in Klassenzimmern, Umkleiden und an den Esstischen der Familie und Nachbarinnenschaft saßen und sie keiner ernst nahm. Und so beobachten wir auch heute eine virulente Sehschwächerechts von Otto und Erna Doof. Halle, Lehren, Schlussstrich und so…

Doch schauen wir uns die bisherigen Rechercheergebnisse an. [3] „Asylantenjagd“ in Klotzsche. Hitlergruß und rassistische Beleidigungen. Am Ende ein Messer und zwei Nichtrechte in Lebensgefahr, die lebenslang an den Folgen leiden werden. Es gleicht sich. Was wurde gelernt? Nichts. Die Ideologie, die sich nahtlos an das hiesige, konservative Weltbild anschmiegt, ist in ihrer Konsequenz immer tödlich. Selektion nach Leistung, Verwertbarkeit, der vermeintlichen Herkunft oder eben dem Unangepasstsein. Hier geht es nicht um “Unzufriedenheit” oder “Abgehängtsein.”

Es geht um das reine Nichtexistierendürfen und um Vernichtung.

Am Ende schreibt die Staatsanwaltschaft: “Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Tat aus Freude an der Vernichtung von Menschenleben oder völlig grundlos begangen wurde.” Für uns liest sich das lediglich wie der Versuch noch schnell einen doppelten Boden zu installieren, bevor man tief und schmerzhaft fällt.

Er wollte töten. Nicht “völlig grundlos.” Rechte töten nie grundlos. Sie töten aus Gründen und tatsächlich auch “aus Freude an der Vernichtung von Menschenleben.” Sie tun dies bewusst und willentlich. Das Fundament dieser Taten ist eine gesamtgesellschaftliche Stimmung die ihnen permanent vermittelt, dass sie im Recht sind. Die ihnen vermittelt, dass es Menschen gibt, die weniger Wert sind als hier geborene Weiße oder vermeintlich “Andere”. Der Hass gegen alles Nichtkonforme, die letzte Patrone die Seehofer und alle Mitte-Extremist*innen im Lauf haben, sind Menschenfeinde wie Florian Rosenkranz.

Brecht das Schweigen und nennt das Kind beim Namen! Neonazis. Arschlöcher, die sich als Vollstrecker eines Volkswillens begreifen, der immer noch und immer wieder hofiert wird. Dieser Volkswillen ist mehrheitlich antisemitisch, rassistisch, antifeministisch und Teil dieser Gesellschaft. Er mäandert nicht an vermeintlichen politischen Rändern umher, er entspringt dieser Gesellschaft, ihrer vermeintlichen Mitte. Neonazis sind Teil dieser, unserer Gesellschaft. Diese, und ihre Ideen, müssen konsequent bekämpft werden! Dieses Ziel werden wir nur dann erreichen, wenn wir die Auseinandersetzung mit diesen Menschen nicht dem Staat überlassen sondern uns selbst bewusst werden und für unsere Ideale einstehen.

Wir wünschen den Betroffene alles erdenklich Gute, wir stehen an eurer Seite.


[1] Wenn in Halle die Anklage davon spricht, dass dies der “widerwärtigste antisemitische Akt seit dem Zweiten Weltkrieg” sei, zeigt dies, dass immer noch nichts begriffen wurde und eine wirkliche Aufarbeitung nicht gewollt ist. So legten die sich selbst als “links” bezeichnenden “Tupamaros West-Berlin” vor einer Gedenkveranstaltung am 09. November 1969 Brandbomben im jüdischen Gemeindehaus Berlin-Charlottenburg. Zum Glück war der Zeitzünder defekt. Beim Brandanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum 1970 in München starben sieben Überlebende der Shoah, die Täter wurden nie ermittelt. Am 19. Dezember 1980 wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke von einem Mitglied der “Wehrsportgruppe Hoffmann” in Erlangen erschossen. Auch das Olympia-Attentat im September 1972 und der Bombenanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn, am 27. Juli 2000 in Düsseldorf, stehen hier lediglich als einige der vielen Beispiele dafür, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft gern mal vergisst.

[2] Die folgenden Screenshot’s zeigen Antworten von Florian Rosenkranz beim anonymen Frage & Antwort Messaging-Dienst Tellonym. Er macht hier keinen Hehl aus seiner politischen Gesinnung, insbesondere auch nicht aus seinem Hass gegen Nicht-Rechte oder Antifas (siehe 15. Screenshot).

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